Zora Schneider: «Linke zensieren sich selbst, aus Angst»

Interview mit Kandidierenden für den Nationalrat im Kanton Bern.

sah. Politisch tendiert Zora Schneider zum klassenkämpferischen Anarcho-Kommunismus. Selbstverwaltung, eine weitgehende Aufhebung der Entfremdung, Anti-Autorität und auch Feminismus sind ihr wichtig. Schneider ist Stadträtin der PdA in Bern, sie studiert und arbeitet beim Berufsverband der Journalist*innen. 

«Wahlen sind kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um wahrgenommen zu werden und der arbeitenden Bevölkerung eine Stimme zu geben» – das schreibt die PdA Bern auf ihrer Seite. Was denkst du dazu?
Wir wollen eine kompromisslose Stimme für die sozial Vernachlässigten und rechtlich Ausgeschlossenen (zum Beispiel Flüchtlinge) sein. Gleichzeitig wollen wir bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung. Unser Ziel ist ein grundlegend anderes System, in dem der aus der Arbeit produzierte Reichtum allen zugutekommt. Die Bevölkerung muss wissen, dass sich die Politik nicht alternativlos den wirtschaftlichen Interessen unterwerfen muss.

Die Überschrift vom Wahlprogramm 2019 lautet: ‹Es braucht einen radikalen Wechsel›. Kannst du mehr darüber erzählen?
Die aktuelle Weltordnung führt zur Zerstörung des Planeten, zu Hunger und Armut und nützt nur den Reichen. Ich will Zusammenarbeit statt Konkurrenz, kompromisslose Sicherung der Grundbedürfnisse und Selbstentfaltung. Wir müssen grundsätzlich anders leben, vor Ort und nachhaltig produzieren, gemeinschaftlich, statt Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Aus der Kritik der Vielen am aktuellen System soll ein besseres Leben für alle folgen.

Welche besonderen Arbeiten stehen für dich persönlich als Kandidatin an?
Viel Geld für die Wahlen hat die Partei der Arbeit nicht und wir werden auch nicht oft von der Presse eingeladen. Wir gelten als Extremist*innen, aber eigentlich fordern wir Menschlichkeit. Eine Menschlichkeit, die nicht weit verbreitet ist, wenn man zum Beispiel die ständige Repression gegenüber IV-, Sozialhilfebezüger*innen, abgewiesenen Flüchtlingen usw. anschaut. Andere linke Parteien machen dabei mit. Es geht auch z.B. um den Zwang und die Ausbeutung am Arbeitsplatz. Im Prinzip fordern wir, was viele denken. Als Kandidatin muss ich den Kopf bei denjenigen hinhalten, die uns abstempeln.

Solidarische Altersvorsorge, Krankenkasse, Friedenspolitik, Migrationspolitik… Für welches Thema setzt du dich besonders ein?
Ich setze mich bis jetzt gegen Repression, für Sozialpolitik, Feminismus und Flüchtlingspolitik ein.

Auf der Strasse hat die PdA/POP bei vielen Anlässen gegen SVP und rechtsnationalistische Kräfte Stellung bezogen. Rechtsextremismus wird inzwischen von grossen Parteien getragen und parlamentarisch vertreten. – Wie sehen Möglichkeiten zu Gegensteuer von links aus?
Man sieht in ganz Europa einen Aufstieg der nationalradikalen, rechtsextremen und häufig neoliberalen Kräfte. Eine Erklärung dafür ist der «autoritäre Kapitalismus». Das heisst, wir erleben ein Schwinden der sozialen Absicherung, den Verlust der Kontrolle nationalstaatlicher Politik gegenüber transnationalen Unternehmen und die kapitalistische Bewertung von Menschen nach ökonomischen Kriterien der Nützlichkeit und Effizienz. Damit verbunden ist ein Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit der Politik. Ich denke, wir müssen das benennen und laut sein, wenn die Rechten ihre menschenverachtenden Parolen rausschreien.

Es ist Frauen*streikjahr. Was hat dich bis jetzbesonders bezüglich feministischer Kämpfe gefreut?
Frauen* haben sich dieses Jahr stark vernetzt und die Kraft des gemeinsamen Handelns gespürt, auch wenn sich leider nicht die ganze Queer-Community willkommen fühlte, was ich sehr bedaure. Es freut mich, dass wir weitermachen wollen. Der Frauen*streik war noch nicht der letzte Streich!

Welche feministischen Forderungen kommen für dich an erster Stelle?
Der Kapitalismus behauptet die unendliche Produktion und profitiert davon. Die Reproduktion jedoch, das heisst Kindererziehung, Alten- und Krankenpflege, emotionale Nähe und Verbindlichkeit, können nicht funktionieren, wenn sie nach Profitinteressen organisiert werden. Deshalb werden die sogenannt «Unproduktiven» in Spitälern und Altenheimen schlecht versorgt und die Arbeit wird den Frauen* zugeschoben. Sie sollen sie entweder gratis, sozusagen aus «Liebe», oder mies bezahlt erledigen. Aber eigentlich sind diese Tätigkeiten das Wichtigste für das menschliche Leben. Deshalb fordere ich hier einen radikalen Wandel.

Kommen wir zum Schlusswort: Eine Stimme links der SP im Nationalrat ist so notwendig wie nie zuvor, warum?
Linke Parteien und Gruppierungen zensieren sich heute selbst, aus Angst, als extrem wahrgenommen zu werden. Wir haben das nicht vor.

erschienen im vorwärts