Besser für den Tourismus – Besser fürs Gewerbe

Motion Henri-Charles Beuchat (CVP), Claudia Meier (BDP): Besser für den Tourismus – Besser fürs Gewerbe
Intervention der PdA Bern an der Stadtratssitzung vom 19.8.2010

Da wäre ja wieder einmal alles bestens aufeinander abgestimmt: Die Fun-Offensive der CVP mit der Krämerlogik der BDP, der erfahrungsresistente Wirtschaftsliberalismus des Freisinns mit dem Deregulierungsmantra der SVP. Und dann brauchte es nur noch einige Spassgesellschaftsvögel aus den Reihen der GFL, und schon wären wir dem Traum des Gemeinderats von einer 24-Stunden-Stadt einen tüchtigen Schritt näher gerückt. Eine eindrückliche Front hat sich da formiert und ihr fröhliches Motto intoniert: Es lebe das Weltkulturerbe als Konsumpark!

Die Menschen, die es zu richten haben, tauchen in diesem Projekt allenfalls am Rand auf: Wenn es um die Arbeitspläne der Randzeiten und um die Flexibilisierung der Lohnformen geht. Wo sind denn da eigentlich die moralgewandten Familien-PolitikerInnen geblieben, wenn auf breiter Front der arbeitsfreie Sonntag frech angegriffen wird? Wenn auch der Samstagabend noch fallen soll? Wo sind sie geblieben? Unablässig tragen sie die Familie auf den Lippen – und bieten Hand für eine enorme Ausweitung der Ladenöffnungszeiten: erst in der unteren Altstadt, dann in der ganzen Altstadt, schliesslich in der ganzen Stadt! Aber so naiv kann doch niemand sein und die Konsequenzen für die Arbeitenden einfach übersehen!

Sie setzen sich ein für verbilligte Museums- und Theatereintritte für Familien – und recht haben Sie! Und wann geht es gemeinsam ins Museum, wann ins Hallenbad, wenn nicht am Wochenende? Weiss da die eine Hand nichts von der andern? Oder geht mit diesen Politikerinnen einfach einmal die Ehrlichkeit durch und sie plaudern aus, welche Familie ihnen so sehr am Herzen liegt, was sie genau meinen, wenn sie vom Mittelstand reden. Wer aber eh schon bescheiden verdient, soll gefälligst ganz bescheiden seine Bedürfnisse aufs Business einstellen! Da hört dann der Fun endgültig auf!

Bern ist mehr als ein Shoppyland. Bern ist aber auch mehr als ein Urlaubsresort – das brauche ich wohl niemandem hier drin zu erklären. Bern ist sehr viel mehr: nämlich in erster Linie eine lebendige Stadt mit all den unterschiedlichen Nutzungen und Ansprüchen und widersprüchlichen Ansichten und Ecken und Kanten, die eine Stadt eben von einem Freilichtmuseum unterscheiden. Bern lebt nicht vom Touristenbrot allein. Verkaufen Sie niemanden für blöd – auch die Touristen nicht: Tun Sie nicht so, als wären das Kühe, die kalkulierbar und à discrétion gemolken werden können!

Wenn Ihnen ehrlich an einer lebendigen Altstadt gelegen ist, dann sorgen Sie – mit Ihren Verbänden, mit dem Gewerbe, mit den Kapital- und Bodeneignern – dafür, dass der Verödung der Innenstadt endlich ein Riegel geschoben wird. Buchhandlungen zu Banken! Wenn das der letzte Schrei ist – dann gute Nacht. Willkommen in Entenhausen! Man kann es auch im Sinn der Motion Strukturwandel nennen: „Der Strukturwandel im Detailhandel wird potenziell beschleunigt.“ Das heisst ausgedeutscht: Verdrängung des Kleingewerbes, Kette um Kette um Kette, mehr vom überall Gleichen, einheitlicher Shopping-Brei. Eine echt geile „Strategie Bern 2020“.

Bleibt der letzte Trumpf: wie immer das Argument mit den Arbeitsplätzen. Wenn es aber um die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen geht, werden die MotionärInnen auf einmal ganz erstaunlich vorsichtig: Sie glauben mit einer schwachen Zunahme rechnen zu können. Man rechne mir das bitte einmal vor: Da werden Öffnungszeiten verlängert und da werden grosse Umsatzsteigerungen versprochen – und auf die Anzahl Stellen soll das fast keine Auswirkungen haben? Über die neuen und erweiterten Formen der Ausbeutung des betroffenen Verkaufspersonals, die mit der Motion angeschoben werden sollen, sagt das wirklich mehr aus als das unverbindliche „zudem“ des Gemeinderats über „fortschrittliche Gesamtarbeitsverträge“. Wir kennen nun die Fortschrittsvision der Motion, wir kennen den 24-Stunden-Stadt-Traum des Gemeinderats. Wir erkennen langsam die sozialen Kosten. Wir wissen, wer sie zu bezahlen hat. Diese Motion ist erst ein Anfang. Ihr Erfolg würde neue Gelüste wecken – noch unverschämtere. Helfen Sie, diesen frechen Angriff auf die Angestellten im Verkauf abzublocken. So oder so: Ihre Entscheidung wird nicht vergessen gehen!

Rolf Zbinden, PdA Bern, 19.8.2010