Stadtrat Bern
Motion Zora Schneider (PdA) – übernommen durch Matteo Micieli (PdA)
Matteo Micieli (PdA):
Gerade mal einführend: Wir wollen eine punktweise Abstimmung und wandeln auch alle Punkte in ein Postulat. Mit dieser Motion will meine Vorgängerin die teils prekäre Arbeits- und Lebenssituation von Angestellten am Berner Hauptbahnhof verbessern. Der Gemeinderat scheint das Anliegen mit uns zu teilen, will diese Motion aber nicht annehmen. Die vorliegenden Massnahmen reichen aber nicht. So ist beispielsweise die vom Gemeinderat erwähnte nachfolgende Berufslehre nur schwer vorstellbar. Viele Verkäufer*innen am Hauptbahnhof haben wenig bis gar keine finanzielle Hilfe und müssen zum Teil mit ihrem Lohn genug Geld verdienen, um ihre Familie durchzubringen und daher ist es sehr schwierig, eine schlecht bezahlte Berufslehre nachzuholen. Zudem verschlechtern die unregelmässigen Arbeitszeiten auch das Zeitmanagement. Selbst wenn die Angestellten also gnädigerweise gewisse Tage freibekommen, ist eine Doppelbelastung im Verkauf und eine gleichzeitige Ausbildung an den Wochenenden oder so kaum zu stemmen. Die schlechten Arbeitsbedingungen sind für Unternehmen natürlich auch attraktiv. Wie wir im «Bund» von heute lesen konnten, eröffnet Coop an der Christoffelpassage, also auf Stadtboden, ihre 4. Filiale. Leute bis um 22 Uhr in einer von 4 Filialen auf nächstem Raum arbeiten zu lassen, bringt offenbar viel Geld. Wir haben also die Pflicht zu schauen, dass das nicht ausgenutzt wird, dass die Angestellten nicht ausgenutzt werden.
Zu Punkt 1: Der Verweis auf das Arbeitsinspektorat und die Gewerkschaften wirkt schon fast ein bisschen zynisch, weil die Betroffenen in einem Arbeitsumfeld arbeiten, in dem schon nur die Erwähnung von Gewerkschaften ihren Job gefährden kann. Der Gemeinderat sagt, dieser Punkt liege nicht in seinem Kompetenzbereich, aber betroffene Geschäfte liegen teilweise auf städtischem Boden. Darum fragen wir uns ein bisschen, ob nicht gewisse Vorschriften über die Arbeitszeiten und die Löhne im Mietvertrag enthalten sein könnten.
Zu Punkt 2: Wir sind der Meinung, dass Angestellte, die das ganze Jahr inklusive Wochenenden und Feiertagen unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen und sehr schlechtem Lohn arbeiten, unsere Unterstützung verdient haben. Wie schon gesagt, die Arbeitssituationen sind dementsprechend noch schlimmer, als wenn wenigstens die Sonntage frei wären. Da wir in ein Postulat wandeln, könnte man diesen Punkt so anpassen, dass die Rechtsgleichheit eingehalten ist.
Zu Punkt 3: Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Arbeitsbedingungen auf städtischem Boden im Bahnhof schon einmal diskutiert wurden, aber sie scheinen leider nicht eingehalten zu werden. Zum Beispiel werden die Arbeitszeiten nur eine Woche und manchmal nur ein paar Tage vor Arbeitsbeginn mitgeteilt. Bei Krankheit werden zum Teil Doppelschichten geleistet. Krank zur Arbeit zu gehen ist eher die Regel als eine Ausnahme. Das ist so weit gegangen, dass in einem Fall eine Mitarbeiterin in einem Valora-Kiosk am Bahnhof kollabiert ist, weil sie Fieber hatte. Deshalb sollten wir die Arbeitsverträge der Geschäfte auf städtischem Boden überprüfen und die nötigen Konsequenzen ziehen. Gab es seit der letzten Diskussion im Stadtrat einen Fall, in dem etwa der Mietvertrag mit einem Geschäft nicht verlängert wurde? Das wäre interessant zu wissen.
Und nachher Punkt 4: die Inkenntnisssetzung der SBB begrüssen wir sehr. Nach persönlicher und jahrelanger Erfahrung der Motionärin selbst werden die arbeitsrechtlichen Standards am Hauptbahnhof nicht eingehalten, und darum ist eine genauere Überprüfung der zur Verfügung stehenden Mittel der Stadt Bern, die das verhindern könnten, dringend notwendig. Wir bitten also die Gemeinde- und die Stadträte, die einzelnen Punkte dieses Postulats zu überweisen.
Bern, 29. Juni 2023
Die Forderungen der Motion wurden wie folgt angenommen/abgelehnt:
- Ablehnung: Die Stadt Bern zeigt in einem Bericht auf, welche Mittel den Stadtberner Behörden zur Verfügung stehen, um niedrige Löhne und schädigende Arbeitsbedingungen zu verhindern und die Öffnungszeiten im Bahnhof Bern zu verkürzen. Ja 17 / Nein 36 / Enthalten 7
- Ablehnung: Sie führt Stipendien für Niedriglohnangestellte am Bahnhof Bern ein, unterstützt sie so finanziell bei einer Ausbildung. Ja 10 / Nein 44 / Enthalten 8
- Annahme: Die Stadt Bern duldet in ihrem Teil des Bahnhofs nur noch Geschäfte, die Arbeitsbedingungen im beschriebenen Sinne weder anstreben noch tolerieren. Ja 39 / Nein 21 / Enthalten 2
- Annahme: Sie setzt sich bei den SBB und anderen Ansprechpartnern dafür ein, damit diese solche Arbeitsbedingungen verhindern oder wenigstens Verbesserungen vorschlagen und umsetzen. Ja 39 / Nein 23 / Enthalten 0