Dringliche Motion Zora Schneider (PdA) Gleichbehandlung aller Menschen. Sozialhilfe statt Nothilfe für Geflüchtete!

Stadtratssitzung Bern

Im Rahmen der kantonalen Ausschreibung «Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereich im Kanton Bern» (NA-BE) hat die Stadt Bern den Zuschlag als regionale Partnerin für die Region «Bern Stadt und Umgebung» (inkl. Köniz, Muri, Ostermundigen, Bremgarten, Zollikofen und Kirchlindach) erhalten. Sie hat dazu mit dem Kanton Bern einen Leistungsvertrag abgeschlossen. Der Auftrag umfasst Sozialhilfe, Betreuung, Unterbringung und die (Arbeits-) Integration von Geflüchteten. Neu ist die Stadt Bern ab Juli 2020 deshalb für die 1. und die 2. Phase des Asylprozesses verantwortlich. 

Ein Teil der Geflüchteten im Asylprozess bezieht Nothilfe. In der ersten Phase kann diese verhaltensabhängig gekürzt werden. Diese Regelung verschärft das Kontrollregime in den Asylcamps, das sich damit auf jeden Bereich des Lebens ausweitet und der Willkür und persönlichen Bestrafungen Tür und Tor öffnet. Es sind verschiedene Fälle bekannt. In einem Fall hat sich z. B. jemand geweigert, seine Unterschrift für den Bezug von Toilettenpapier zu geben und wurde dafür nicht nur finanziell bestraft, sondern auch für Tage ohne Hilfe aus dem Asylcamp weggewiesen.¹

Nothilfe reicht nicht für ein gutes Leben. Damit ist eine ausgewogene Ernährung nur schwer möglich. Auch das Pflegen von Sozialkontakten ausserhalb der Asylzentren ist verunmöglicht, weil das Geld fehlt. Asylcamps befinden sich meistens ausserhalb von städtischen Zentren, daher sind finanzielle Mittel schon nur notwendig, um per öffentlichem Verkehr zu Bekannten und Freund*innen zu fahren. Auch innerhalb der Städte ist der ÖV teuer. Geflüchtete werden häufiger von der Polizei kontrolliert und bekommen z. B. fürs Schwarzfahren im öffentlichen Verkehr Bussen, die sie nicht bezahlen können. Es sind Fälle bekannt, in denen Geflüchtete wegen unbezahlter Bussen ins Gefängnis mussten. Diese Zustände drängen sie zu illegaler Arbeit, was nicht im Interesse der schweizerischen Gesellschaft ist. 

Von der Annahme ausgehend, dass sich unsere Gesellschaft die Gleichbehandlung aller Menschen auf die Fahnen schreibt, ist es eine Schande, wenn eine Kategorie von Menschen geschaffen wird, die isoliert, ausgestossen und jahrelang in einem künstlichen Wartezustand verharrend von so wenig Geld leben muss. Das Leben unter den Bedingungen der Asylunterkünfte ist ein «Amöbeleben»², kein richtiges Leben. Dies darf Menschen nicht zugemutet werden.

Daher bitte ich den Gemeinderat um die Umsetzung folgender Forderung:
Alle Geflüchteten, die sich in einem von der Stadt Bern betreuten Asylverfahren befinden, sollen mit den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern gleichgestellt werden und statt Nothilfe Sozialhilfe erhalten.

Begründung der Dringlichkeit
Die Umsetzung von NA-BE in der Stadt Bern erfolgt per 1. Juli 2020. Je früher das Geschäft im Stadtrat behandelt wird, desto sicherer kann die langfristige Planung bei der Umsetzung ausfallen. Der Stadtrat hatte bisher nur die Möglichkeit den mit dem Kanton abgeschlossenen Leistungsvertrag abzusegnen und sollte sich daher noch vor Einführung mit Forderungen mit der genauen Umsetzung beschäftigen können.

Bern, 24.06.2020

¹ Quelle: Mündliche Berichte von Betroffenen.
² Zitat aus: Broschüre Migrant Solidarity Network. «Asylcamps sind keine Lösung». Informationen auf: www.migrant-solidarity-network.ch.