erschienen in der nixBravDa 1/19
Die Schulstreiks für das Klima haben sich beachtlich ausgebreitet. Offenbar entsteht eine neue Jugendbewegung. Sie wendet sich gegen die etablierte Politik, gegen die mit viel Gerede begleitete, aber im praktischen Tun völlig unzureichende Politik der Regierenden in Sachen Klimaschutz. Sie wollen damit für ihr eigenes Interesse, für eine gesicherte Zukunft der Erde eintreten.
Es verdient grösste Aufmerksamkeit und volle Unterstützung, wenn zehntausende junge Menschen trotz der Androhung von Schulstrafen sich für Schulstreiks entscheiden und an „Freitagen für die Zukunft“ („Fridays for future“) dem Unterricht fernbleiben, um mehr und wirkungsvollere Massnahmen für die Bewahrung des Klimas und damit für die Zukunft des Erdballs einzufordern.
Besonders wichtig ist, dass es sich dabei um eine von jungen Menschen selbst organisierte, von Regionalgruppen getragene, politisch und organisatorisch völlig unabhängige, also im besten Sinn basisdemokratische Bewegung handelt. Als Kommunikationsmittel zur Koordinierung und Mobilisierung von Aktionen dienen ihnen in erster Linie sogenannte soziale Medien wie WhatsApp, Facebook usw.
Initiative aus Schweden
Angestossen wurden diese Aktivitäten ursprünglich von der 16-jährigen schwedischen Schülerin Greta Thunberg. Sie hatte sich am 20. August 2018, dem ersten Schultag nach den heissesten Sommerferien, die es in Schweden je gegeben hat, erstmals mit einem Schild „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik fürs Klima) ganz allein vor das Gebäude des schwedischen Reichstags gesetzt. Auf einem von ihr verteilten Handzettel hiess es u.a.: „Weil ihr Erwachsenen auf meine Zukunft scheisst, tue ich das auch. Mein Name ist Greta, und ich bin in der neunten Klasse. Und ich bestreike die Schule für das Klima bis zum Tag der Wahl.“
Sie hielt den Streik bis zur Parlamentswahl in Schweden durch, drei Wochen lang, und wurde zum Vorbild. Es entstand die internationale Bewegung „Fridays for future“ (https://www.fridaysforfuture.org/, Schweiz: https://climatestrike.ch/). Damit werden Schülerinnen und Schüler international immer freitags zu Schulstreiks für das Klima aufgerufen. Auf den Internetseiten gibt es die Möglichkeit, sich über die Existenz regionaler Gruppen zu informieren und mit ihnen in Verbindung zu kommen. Greta Thunberg selbst wird seitdem teilweise wie ein „Star“ behandelt, zu Reden auf Kundgebungen in anderen Ländern eingeladen, zu einem Redebeitrag auf der Klimakonferenz der UNO in Katowice im Dezember 2018 (COP24) und dort auch zu einem Gespräch mit UNOGeneralsekretär Antonio Guterres, sowie zum WEF in Davos im Januar 2019.
Aktionen in ganz Europa
Erste Schulstreiks ausserhalb Schwedens gab es schon im Herbst 2018. In der Schweiz setzten 300 Personen in Zürich am 14. Dezember erstmals ein Zeichen für mehr Klimaschutz. Eine Woche später wurde bereits in mehreren Städten gestreikt.
Am 18. Januar beteiligten sich bereits mehr als 20’000 Schülerinnen und Schüler an Schulstreiks und Demonstrationen in Lausanne, Genf, Zürich, Neuchâtel, Basel, Fribourg, St. Gallen, Luzern, Delémont, Solothurn, Chur, Biel/Bienne, Baden, Zug und Aarau. Eine Woche später waren landesweit erneut Zehntausende auf der Strasse. Am 8. Februar, einem Samstag, demonstrierten in 13 Schweizer Städten über 60’000 Menschen für mehr Klimaschutz.
Am 17.1. waren in Brüssel mehr als 17’000 streikende Schülerinnen und Schüler auf die Strasse gegangen. Eine Woche später wurden bei den Aktivitäten schon 35’000 TeilnehmerInnen vermeldet. Auch aus der BRD, Frankreich, Italien, Grossbritannien, den Niederlanden, Österreich und aus Übersee wurde über ähnliche Aktionen berichtet.
Der nächste weltweite Klimastreik wird am 15. März stattfinden. Aktionen sind auf jedem Kontinent geplant, in Kanada, den USA, Latein- und Südamerika, Afrika, Europa, Asien, Australien und Neuseeland.
„Wir schwänzen nicht, wir streiken“
Die Schulstreik-Bewegung ist mit einer starken Auseinandersetzung verbunden, ob solche Aktionen von Schülerinnen und Schülern während des Unterrichts denn überhaupt zulässig sind und die Beteiligten nicht wegen Verstosses gegen die gesetzliche Schulpflicht bestraft werden müssten. Zahlreiche Lehrerinnen oder Lehrer begrüssten und unterstützten, dass die Schülerinnen und Schüler verantwortungsbewusstes Engagement für die Bewahrung des Klimas und ihre eigene Zukunft zeigen. Auch Schulleitungen verzichteten teilweise auf Sanktionen. Anderswo aber wurden Schülerinnen und Schüler, die an den Streiks teilnahmen, mit dem Eintrag von Verweisen oder schlechten Noten, mit Nachsitzen oder in der BRD sogar der Androhung von Schulverweisen bedroht.
Auch in vielen Medien wurden die Schulstreiks schlichtweg als „Schulschwänzen“ abgestempelt. Die Antwort von Beteiligten war jedoch eindeutig: „Wir schwänzen nicht, wir streiken!“ betonten sie. Damit hatten sie zweifelsfrei recht. Denn genau so, wie das Fernbleiben von abhängig Beschäftigten von der Arbeit zur Durchsetzung von Lohn- und anderen Forderungen nicht einfach als „Schwänzen“ oder „Blaumachen“, sondern als Streik, also als die Wahrnehmung eines demokratischen Rechts zu bewerten ist – obwohl von Unternehmerseite auch immer wieder versucht wird, Streiks diffamierend als „Unlust zur Arbeit“ darzustellen – gilt das auch für die Schulstreiks. Das verfassungsmässige Recht der freien Meinungsäusserung gilt auch für Menschen unter 18 Jahren.
„Es gibt keinen Sinn, für die Zukunft zu lernen, wenn wir vielleicht gar keine haben“
Jenseits solcher juristischen Fragen werden bei den Streiks vielfältige politisch-inhaltliche Argumente für die Schulstreiks für das Klima zum Ausdruck gebracht:
„Warum lernen ohne Zukunft?“, hiess es beispielsweise auf manchen selbstgemalten Transparenten. „Es gibt für uns keinen Sinn, für die Zukunft zu lernen, wenn wir vielleicht keine haben“, war zu lesen. „Warum noch in der Schule lernen, wenn es den Planeten später nicht mehr gibt?!“, hiess es auf einem Schild in Hamburg.
„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, wurde gerufen. „Wir streiken, bis ihr handelt“, „Wir sind die letzte Generation, die noch was ändern kann“ war zu lesen oder „Wir gehen mit der Welt um, als hätten wir eine zweite im Kofferraum“ und „There is no planet B!“ („Es gibt keinen Planeten B“), sowie in Anspielung auf die Folgen der Klimaerwärmung: „Opa, was ist ein Schneemann?“. „Coal ends the world, so end coal“ („Kohle macht der Erde den Garaus, also macht Schluss mit der Kohle“).
Die Vielzahl der Sprüche auf Transparenten und in Sprechchören zeugt von der Kreativität der Beteiligten, aber auch von der Intensität, mit der sie sich mit dem Thema befasst haben.
Eine Aktivistin in Stuttgart kritisierte gegenüber einem Journalisten: „Wir haben eine Klimakatastrophe und trotzdem stehen mehr Artikel über Fussball in der Zeitung als darüber“. Eine Schülerin in Berlin: „Ich finde einfach das Klima zu schützen definitiv wichtiger als in der Schule zu pauken, weil wenn man jetzt Mathe und so weiter kann, aber es dann krasse Überschwemmungen gibt und so weiter, dann hilft einem auch nicht mehr Französisch oder Mathe oder irgendwas anderes. Deshalb würde ich zuerst das Klima schützen und dann auch wieder zur Schule gehen“.
Fridays for Future unterstützen
Die Schweizer Webseite listet folgende Forderungen auf:
- Wir fordern, dass die Schweiz den nationalen Klimanotstand ausruft: „Die Schweiz anerkennt die Klimakatastrophe als zu bewältigende Krise: Sie hat folglich auf die Krise zu reagieren, die Gesellschaft folglich auch über diese Krise zu informieren“.
- Wir fordern, dass die Schweiz bis 2030 im Inland Netto 0 Treibhausgasemissionen hat ohne Einplanung von Kompensationstechnologien.
- Falls diesen Forderungen im aktuellen System nicht nachgekommen werden kann, braucht es einen Systemwandel.
- Es gibt also gute Gründe, die Bewegung „Fridays for future“ nach Kräften zu unterstützen, und dies nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern auch für alle älteren Jahrgänge.
Zum einen verdient es jede Anerkennung und Unterstützung, wenn junge Menschen sich engagieren und aktiv für ihre eigenen Interessen, für ihre Zukunft einsetzen. Damit werden die gängigen Vorurteile von der „Null-Bock“-Jugend, die sich um nichts ausser vielleicht Musik und Fussball kümmert, widerlegt.
Zum anderen aber verfechten die jungen Leute damit auch eine Sache, die für die älteren Generationen ebenso lebenswichtig ist. Zwar sind die heute 15 bis 21Jährigen die ersten Hauptleidtragenden, wenn die sich schon abzeichnende Klimakatastrophe nicht gestoppt wird. Es geht also direkt um ihre Zukunft. Aber auch die Generationen, die altersmässig darüber liegen, werden mit den verhängnisvollen und oft lebensgefährlichen Folgen einer Klima-Erwärmung um mehr als 1,5 Grad konfrontiert sein.
Zum Dritten ist nicht zu vernachlässigen, dass Bewegungen wie die Schulstreiks für die Beteiligten und ihr ganzes persönliches Umfeld auch damit verbunden sind, dass sie in der konkreten Aktion ihre eigenen politischen Erfahrungen machen. Zum Beispiel, wer von den existierenden politischen Gruppen und Parteien ihr Anliegen unterstützt und wer ihnen entgegenwirkt, sie zu diffamieren und mit Repressionen zum Aufgeben zu zwingen versucht. Das können fürs ganze weitere Leben prägende Erfahrungen sein, die zur notwendigen Veränderung der ziemlich erstarrten und nach rechts tendierenden heutigen politischen Kräfteverhältnisse beitragen können.
Dabei ist auch nicht zu übersehen, dass in den Streikaktionen in Verbindung mit der Klimafrage und der Untätigkeit bzw. dem Zurückweichen der Regierenden vor den Konzerninteressen, besonders der Energie- und Autokonzerne, relativ schnell auch die „Systemfrage“ ins Blickfeld rückt: „Change system, not climat“ („Ändere das System, nicht das Klima“) ist auch auf Transparenten zu lesen oder „Le capitalisme nuit gravement à la planète“ („Der Kapitalismus schadet dem Planeten erheblich“).
Greta Thunberg hat in ihrer Rede vor der UNO-Klimakonferenz in Katowice am 12. Dezember 2018 auch schon dieses Thema angesprochen. Sie sagte u.a.: „Ihr seid nicht reif genug, zu sagen, wie es ist. Selbst diese Bürde überlasst ihr uns Kindern. Aber ich kümmere mich nicht darum, populär zu sein. Ich kümmere mich um Klimagerechtigkeit und den lebenden Planeten. Unsere Zivilisation wird geopfert für die Gelegenheit für eine sehr kleine Zahl von Leuten, weiterhin enorme Summen Geld zu machen. Unsere Biosphäre wird geopfert, damit reiche Leute aus Ländern wie dem meinen in Luxus leben können. Es sind die Leiden der vielen, die für den Luxus der wenigen bezahlen.“
Weiter sagte sie: „Wir können eine Krise nicht lösen, ohne sie als Krise zu behandeln. Wir müssen die fossilen Brennstoffe im Boden lassen und wir müssen uns auf Gerechtigkeit konzentrieren. Und wenn Lösungen innerhalb dieses Systems so unmöglich zu finden sind, dann sollten wir vielleicht das System selbst ändern. Wir sind nicht hierher gekommen, um die führenden Politiker der Welt zu bitten, sich um uns zu kümmern. Ihr habt uns in der Vergangenheit ignoriert und ihr werdet uns wieder ignorieren. Wir haben genug von den Ausreden, und uns läuft die Zeit davon. Wir sind hierher gekommen, um euch wissen zu lassen, dass eine Änderung kommen wird, ob ihr das wollt oder nicht. Die wahre Macht gehört den Völkern!“
G&A Polikeit