Wider die Tretmühlen

Die im Trend liegende Billigpreispolitik für Nahrungsmittel spielt der Liberalisierung und dem Freihandel in die Hände. Die Initiative für Ernährungssouveränität steht für eine Wende in der Agrar- und Ernährungspolitik.

Anfang November 2017 brüskierte der Bundesrat mit seiner «Gesamtschau zur mittelfristigen Weiterentwicklung der Agrarpolitik» die bäuerlichen Organisationen, aber auch die Stimmbevölkerung. Diese hatte sich am 24. September mit rund 78 Prozent Ja-Stimmen deutlich für den Gegenentwurf zur Ernährungssicherheits-Initiative und für die einheimische Agrarwirtschaft ausgesprochen. Die Politik des Bundesrates, den Markt weiter zu liberalisieren und Freihandelsabkommen z.B. mit den Mercosur-Staaten und der EU auszuhandeln, kollidiert mit diesem klaren Votum. Das Ziel: Normen und Handelsregeln sollen abgebaut werden und damit der Schweizer Industrie (wie z.B. Pharma und Chemie) der Export in die dortigen Märkte erleichtert werden; und im Gegenzug werden diese Länder ihre Produkte (zumeist Agrarprodukte) ungehindert in die Schweiz exportieren können. Der Ökonom Matthias Binswanger warnt: «Freie Märkte führen nicht zu befreiten Bauern, sondern zur Befreiung ganzer Regionen von den Bauern.»

Zölle sind die Regel?
Die Schweiz schützt den heimischen Markt und reguliert die Einfuhrmengen. Die InitiantInnen der Ernährungssouveränitäts-Initiative fordern, einen differenzierten Zollschutz beizubehalten, bis hin zu Importverboten auf Produkte, die unsere Standards nicht erfüllen (z.B. Hormonfleisch und GVO). Wenn wir eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft ausgestalten möchten, gilt es, ökologische, soziale wie auch ökonomische Aspekte zu vereinen. Damit setzen wir auch ein unmissverständliches Zeichen für die Diskussion um die «Agrarpolitik ab 2022», die im Herbst 2018 beginnt.
Die heranrollenden Freihandelsabkommen werden den Preisdruck massiv verschärfen: 30 bis 50 Prozent Preisverlust bei Mercosur und einem bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. Täglich verschwinden drei Bauernhöfe und sechs bäuerliche Arbeitsplätze in der Schweiz. Das sind in den letzten 30 Jahren insgesamt 100 000 Arbeitsplätze und 35 000 Bauernhöfe bei steigender «Produktivität». Der Produzentenpreis sank in den letzten 30 Jahren um 30 Prozent, wovon besonders die Grossverteiler profitierten. Die Einkommen liegen in der Landwirtschaft 35 Prozent unter dem Durchschnittseinkommen bei 25 Prozent höherer Arbeitsbelastung.

Preise, Einkommen, Arbeit
Nehmen wir den Milchmarkt als Beispiel. Durchschnittspreise von 50 Rappen pro Liter sind, bei einem kostendeckenden Preis von einem Franken (Talbetrieb), üblich. Nirgendwo sonst hat sich die Niedrigpreispolitik so durchgesetzt. Werner Locher von der «Bäuerlichen Interessen-Gruppe für Marktkampf» erklärt: «Die Bauern müssen im Stand sein, möglichst viel Milch zu möglichst tiefen Preisen zu produzieren. Der Handel entscheidet dann, wie diese Mengen verarbeitet und verkauft werden sollen. Seit über zehn Jahren wird zu viel Milch produziert, was zu Überschüssen führt. Diese werden zu Dumpingpreisen im Ausland entsorgt. Eine zukunftsgerichtete Milchmarktordnung braucht ein funktionierendes Mengenanpassungssystem, um auf Marktschwankungen reagieren zu können. Artikel 5a der Initiative für Ernährungssouveränität bildet die rechtliche Grundlage dazu.»

Echte Lösungen für die Klimakrise
Der Weltagrarbericht (2008) sowie die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Hungers und zur Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft sind wichtige Wegweiser für unsere Initiative. Die Klimaszenarien sind eindeutig, sprich die Wetterextreme nehmen zu. Die Landwirtschaft muss sich darauf einstellen. Lokal angepasste Sorten, artenreiche, ressourcenschonende und resiliente Agrarökosysteme sind Antworten, die wir mit unserer Initiative einfordern. Klimawandel, steigende Erdölpreise, Spekulation mit Lebensmitteln und politische Krisen können den globalen Markt empfindlich stören. Im Jahr 2017 stiegen die globalen Lebensmittelpreise um 8,2 Prozent. Ernährungssouveränität trägt zum Abbau der Auslandsabhängigkeit bei, hier wie im globalen Süden.
Eine Annahme der Initiative, so Tina Siegenthaler von der Kooperationsstelle Solidarische Landwirtschaft, «brächte wirklich sehr viele Vorteile für eine kleinräumige, vielfältige und solidarische Landwirtschaft: Der Dialog zwischen Konsument-Innen und ProduzentInnen würde gestärkt, die Produktion,Verarbeitung und Distribution demokratisch organisiert. Schlussendlich wird eine Demokratisierung der ganzen Land- und Ernährungswirtschaft angestrebt. Das stärkt die Resilienz und sichert so nachhaltig die Ernährungssicherheit.»
Engagiere dich aktiv für die Initiative für Ernährungssouveränität, z.B. am 25. August, 1. und 8. September an den Standaktionen in rund 15 Städten in der Deutschschweiz.

von Mathias Stalder. erschienen im vorwärts 13.6.2018
Er ist Koordinator der Initiative für Ernährungssouveränität und Sekretär der Bäuer/innengewerkschaft Uniterre

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