Steigi 69 bleibt! Kein Abriss auf Vorrat von städtischen Liegenschaften!

Motion Freie Fraktion AL/GaP/PdA (Christa Ammann, AL / Zora Schneider, PdA / Luzius Theiler, GaP / Seraina Patzen, JA! / Tamara Funiciello, JUSO)

Seit Mitte Januar wird die Liegenschaft an der Bahnstrasse 69 von einem Kollektiv besetzt. Das Kollektiv hat schon diverse Veranstaltungen für und mit QuartierbewohnerInnen organisiert und geniesst zumindest bei einem grossen Teil der QuartierbewohnerInnen Sympathien. Es wird gewünscht, dass sie bis auf Weiteres bleiben können sollen.

Gründe, weshalb die Stadt mit der Räumung droht, werden zwei genannt: Beschwerden aus der Nachbarschaft und ein «Gefühl von Bedrohung» bei den Mitarbeitern vom ISB. Die Beschwerden, die ins Feld geführt werden, sind jedoch kein Phänomen, dass es erst seit der Besetzung gibt: Es sind im selben Quartier auch schon Beschwerden bei der Polizei für Pingpong- Turniere von AnwohnerInnen eingegangen, welche um 22:05 Uhr noch nicht beendet waren, um an einem Beispiel zu veranschaulichen, wie rasch einzelne AnwohnerInnen offenbar zum Beschwerde- Telefonhörer greifen. Dies und angebliche Drohungen werden nun als Grund genommen, den BesetzerInnen ein Ultimatum bis am Freitag, 16.2.2018 zu stellen.

Dabei hat das Kollektiv klar Stellung zu diesem Ereignis bezogen (siehe weiter unten).

Wie sich das Zusammentreffen von den Mitarbeitern von ISB und den Menschen vom Kollektiv zugetragen hat, darüber bestehen verschiedene Versionen. Das «Gefühl von Bedrohung» als Grund für Gesprächsverweigerung von Seiten ISB und eine Räumungsandrohung1, sollten die BesetzerInnen das Haus bis am Freitag, 16.2.2018 nicht verlassen, zeugt nicht davon, dass der Gemeinderat sich an die in der Vergangenheit gemachten Ansagen erinnern will: Bei der Räumung an der Effingerstrasse 29 haben sich die Stadtberner Gemeinderäte beschwert, wie eskalierend das Vorgehen gewesen sei und die Öffentlichkeit wissen lassen, dass sie völlig anders reagiert hätten, hätte man sie nur machen lassen.

Ein «Gefühl von Bedrohung», davon ist die Motionärin überzeugt, lässt sich am besten mit Gesprächen und der Weiterführung des Dialoges auflösen oder klären und nicht damit, dass Gespräche verweigert werden und der Zwischennutzungsvertrags von Seiten Stadt nun verweigert wird: Das Kollektiv hat sich in der Quartierzeitung Holligen vom 12. Februar 2018 zu den Vorwürfen geäussert und klargestellt, dass es nicht Absicht war, dass sich irgendwelche Mitarbeiter von ISB bedroht fühlen und dass sie auf «gewaltfreie Konfliktlösung durch Kommunikation» setzen. Es ist noch kaum ein halbes Jahr vergangen, seit sich der Gesamtgemeinderat in einer Antwort auf einen offenen Brief und in einer Motionsantwort folgendermassen geäussert hat: «Der Gemeinderat respektive die zuständige Direktion handeln mit Augenmass und ordnen eine polizeiliche Räumung nur als ‹ultima ratio› an.»

Deshalb wird der Gemeinderat aufgefordert:

    1. Davon abzusehen, die Liegenschaft zu räumen und abzureissen, wenn nicht die Baubewilligung vorliegt, so dass unmittelbar nach dem Abriss mit dem Bau begonnen werden kann.
    2. Die BesetzerInnen bis zum unter Punkt 1 genannten Zeitpunkt zu dulden oder ihnen einen Zwischennutzungsvertrag anzubieten.
    3. Das Angebot zum Dialog der BesetzerInnen anzunehmen.

Bern, 15. Februar 2018

Erstunterzeichnende: Christa Ammann, Zora Schneider, Luzius Theiler, Seraina Patzen, Tamara Funiciello 
Mitunterzeichnende:
Tabea Rai, Leena Schmitter, Franziska Grossenbacher, Ursina Anderegg, Lea Bill, Rahel Ruch, Katharina Gallizzi

1 Man beachte den Wortteil «-drohung»

 

Antwort des Gemeinderats

Der Inhalt der vorliegenden Motion betrifft inhaltlich einen Bereich, der in der Zuständigkeit des Gemeinderats liegt. Der Motion kommt deshalb der Charakter einer Richtlinie zu. Sollte die Motion erheblich erklärt werden, ist sie für den Gemeinderat nicht bindend. Er hat bei Richtlinienmotionen einen relativ grossen Spielraum hinsichtlich des Grads der Zielerreichung, der einzusetzenden Mittel und der weiteren Modalitäten bei der Erfüllung des Auftrags. Zudem bleibt die Entscheidverantwortung bei ihm.

Dem Gemeinderat ist es ein grosses Anliegen, dass leerstehende Wohnliegenschaften nach Möglichkeit zwischengenutzt werden. Kommt es trotzdem in Einzelfällen zu einer Besetzung, wird jeweils versucht, – sofern es sich um eine städtische Liegenschaft handelt – diese zu legalisieren. Minimalste Voraussetzungen für das Legalisieren von Besetzungen sind gemeinsam akzeptierte Rahmenbedingungen sowie ein fairer gegenseitiger Umgang.

Im Januar 2018 hat das Kollektiv «Steigi 69» die städtische Liegenschaft an der Bahnstrasse 69 besetzt. Erste Verhandlungen zur Legalisierung der Besetzung wurden anfangs Februar 2018 abgebrochen, da Drohungen gegen Mitarbeitende von Immobilien Stadt Bern (ISB) ausgesprochen wurden, was nicht tolerierbar ist.

Ende März 2018 hat die Stadt, nachdem sich das Kollektiv «Steigi 69» bei den bedrohten Mitarbeitenden entschuldigt hatte, die Verhandlungen wiederaufgenommen. In der Folge wurde ein Gebrauchsleihevertrag abgeschlossen. Der Vertrag war befristet und endete mit Beginn des Rückbaus der Liegenschaft. Er legte unter anderem verbindliche Nutzungsbestimmungen für die Liegenschaft fest, um die Rauch-, Geruchs- und Lärmbelästigungen für die Nachbarschaft auf ein tolerierbares Mass zu reduzieren.

Dem Gemeinderat ist bekannt, dass es Stimmen aus dem Quartier gab, die der Besetzung positiv gegenüberstanden. Die Beschwerden aus dem Quartier waren aber ebenso ernst zu nehmen. Tatsache ist, dass die Polizei mehrfach wegen Ruhestörungen ausrücken musste. Weiter hat das städtische Amt für Umweltschutz (AfU) Immobilien Stadt Bern mittels Verfügung aufgefordert, in der Liegenschaft installierte Öfen stillzulegen, in denen illegal Holzpaletten verbrannt wurden. Der entstandene giftige Rauch führte dazu, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft teilweise nicht mehr gelüftet werden konnte. Nach der Intervention durchs AfU wurden die Öfen entfernt. Im letzten Monat der Zwischennutzung hat sich die Situation dadurch etwas entschärft, die Reklamationen aus der Nachbarschaft nahmen deutlich ab.

Anfangs Juni 2018 wurde das Kollektiv «Steigi 69» fristgerecht über den Start der Bauarbeiten am 2. Juli 2018 informiert, womit die Zwischennutzung der Liegenschaft – wie im Gebrauchsleihevertrag festgehalten – endete. Das Kollektiv «Steigi 69» hat die Liegenschaft an der Bahnstrasse 69 Ende Juni verlassen.

Zu Punkt 1: Nachdem die Baubewilligung vorlag, wurde dem Kollektiv «Steigi 69» Ende Mai 2018 mitgeteilt, dass es die Liegenschaft per Ende Juni 2018 zu verlassen habe. Der Baustart bzw. der Rückbau erfolgte am 2. Juli 2018.

Zu Punkt 2: Es wurde ein Gebrauchsleihevertrag abgeschlossen, welcher die Zwischennutzung verbindlich regelte.

Zu Punkt 3: Die Verhandlungen zum Gebrauchsleihevertrag erfolgten mit externer Unterstützung, der Dialog wurde somit nach der erfolgten Entschuldigung wiederaufgenommen.

Folgen für das Personal und die Finanzen
Da es sich bei der besetzten Liegenschaft um ein Abrissobjekt handelte, mussten zur Realisierung einer ordentlichen und sicherheitskonformen Zwischennutzung Sanitär- und Wasserleitungen wiederhergestellt und die Notstromzufuhr ermöglicht werden. Für die Wiederinbetriebnahme der Liegenschaft Bahnstrasse 69 entstanden Auslagen (inkl. Honorare) im Umfang von Fr. 25 000.00 bis Fr. 30 000.00. Davon betreffen rund Fr. 5 000.00 Material, das wiederverwendet werden kann (Kabelrollen und Stromverteilkästen.

Zudem erfolgten die Verhandlungen mit dem Kollektiv «Steigi 69» mit externer Unterstützung. Dieses Mandat kostete rund Fr. 4 000.00.

Antrag
Der Gemeinderat beantragt dem Stadtrat, die Motion als Richtlinie erheblich zu erklären. Da das Anliegen der Motionärinnen und Motionäre bereits vollumfänglich erfüllt ist, gilt der vorliegende Bericht gleichzeitig als Begründungsbericht.

Bern, 4. Juli 2018
Der Gemeinderat