Die grossen Tanz-dich-frei-Demonstrationen haben gezeigt, dass die Jugend in Bern und Umgebung Platz braucht. Nicht für mehr Partys hat man demonstriert, nicht für mehr Clubs, sondern für einen Ort, an dem diskutiert, organisiert, entdeckt und gelebt werden kann – die Reithalle. An diesem Ort werden viele eigentlich gesamtgesellschaftliche Aufgaben angegangen. Es ist ein inklusiver Ort. Deswegen zeigen sich dort auch die Auswirkungen gesellschaftlicher Fehlentscheide und Diskriminierungen, wie z. B. in der Drogen- und Asylpolitik.
Die Reithalle ist mehr als ein Ort der kulturellen Veranstaltungen, sondern ein Ort des Widerstands gegen eine Gesellschaft, die grundsätzlich kritisiert werden muss. Ich denke z. B. an die ökologische Zerstörung und die zunehmende Ungleichheit auch im Kanton Bern. Dem gegenüber ist die Reithalle ein Ort der Identitätsbildung. Ein Ort der Gegenerzählung. Ein Symbol für ein freieres Leben.
Unsere Gesellschaft muss sich verändern. Die liberale Ideologie betrachtet Natur und Menschen als unerschöpfliche Ressourcen und sie ordnet alles ihrem Ziel der Profitmaximierung unter. Was dem entgegensteht oder ihm nicht direkt dient, bleibt auf der Strecke.
Auch hier in der Schweiz werden die jetzigen und nachfolgenden Generationen die Auswirkungen zu schultern haben, die unsere gestrigen und heutigen Entscheidungen verursachen. Das kritisieren viele Menschen, insbesondere auch diejenigen in der Reithalle. Auch dafür brauchen sie einen Freiraum, der gepflegt sein will.
Wir sollten die Reithalle also in Stand halten und uns gegen die Logik des Referendumskomitees wehren, das Gegenerzählungen unterbinden will und sich damit profiliert, Sicherheit und Repression zu verwechseln. Es muss offenbar in Erinnerung gerufen werden, was Gewalt ist: Farbe an den Wänden ist keine Gewalt. Widerstand gegen die menschenrechtlich bedenklichen Ausschaffungen ist keine Gewalt. Demonstrieren und sich vermummen ist auch keine Gewalt.
Gewalt ist, was Menschen in ihrer körperlichen und geistigen Freiheit beschädigt. Das gewalttätigste Element der Gesellschaft sind die ungleiche Verteilung der Mittel und die Ignoranz. Beiden wirken Aktivistinnen und Aktivisten der Reithalle entgegen. Die Reithalle hat daher auch in dieser Beziehung eine gesellschaftliche Funktion.
Wie wirkt die Reithalle der Ignoranz entgegen? Sie versucht, die Demokratie zu leben. Das heisst, sie organisiert Aushandlungsprozesse, in denen die Menschen ihre verschiedenen Meinungen in strukturiertem und fairem Rahmen diskutieren. Sie lassen sich dabei nicht von Repräsentanten vertreten, sondern werden sich selbst darüber klar, in welche Richtung es gehen soll. Dieses Ideal der Demokratie hat Vorbildcharakter und das brauchen wir. Man muss sich nur mal die Wahlbeteiligung an den letzten Wahlen anschauen.
Gerade wir SchweizerInnen mit unserem direktdemokratischen System, wir sollten begreifen, dass die Demokratie gelebt werden muss, wenn sie nicht oberflächlich bleiben soll und wenn sie uns dienen soll. Ein unvollständiges Aushandeln der politischen Weichenstellungen, an dem die Menschen sich nicht beteiligen, nützt nur den Lobbyisten und den Rechtspopulisten. Das kann die Reithalle allein nicht ändern, aber es ist gut, wenn sie lebendig bleibt.