Ungeniert beschloss der bürgerlich dominierte Grossrat des Kantons Bern in der abgeschlossenen Session Massnahmen im Polizei- und Sozialhilfegesetz für weitere soziale Kollateralschäden. Jetzt werden Referenden ergriffen.
Überwachung und Diskriminierung durch Behörden nehmen zu, Gesetze werden weitherum munter verschärft. Ein Zitat der Gesellschaft für bedrohte Völker (GdV) zeigt dies auf: «Der Berner Grossrat hat das Polizeireglement so verschärft, dass fahrende Jenische, Sinti und Roma schneller von Geländen gewiesen werden können. Bis jetzt verfügt bei Landnahmen ein Gericht über die Wegweisung, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht. Mit der Verschärfung des Wegweisungsartikels wird die rechtliche Situation fahrender Minderheiten verschlechtert: Neu kann die Wegweisung auch ohne akute Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgesprochen werden. Dies ist umso stossender, da der Kanton Bern trotz gesetzlicher Verpflichtungen bisher versäumt hat, fahrenden Jenischen, Sinti und Roma genügend Plätze zur Verfügung zu stellen.» In allen Gemeinden, in denen Standplätze von SVP-Regierungsrat Christoph Neuhaus eruiert werden, gibt es ziemlich Widerstand gegen diese Pläne; die rassistisch-fremdenfeindliche SVP im permanenten Wahlmodus macht’s vor.
«Effizientere» Polizeiarbeit
Wie Indigene in aller Welt wird die Minderheit der in- und ausländischen Fahrenden idealisiert und verfolgt. Stefan Eicher beschäftigt sich in einem Dokumentarfilm in schönen Bildern und Tönen fasziniert und gönnerhaft mit der jenischen Musik und ihrem bedeutenden Einfluss auf die Volksmusik. Viele Fernsehsendungen, Filme und Bücher tun so, als ob Fahrende nur bis 1973 von Pro Juventute verfolgt worden wären und seither nicht mehr. Das schärfere Polizeigesetz ist im übrigen ebenfalls handlich zur besseren Misshandlung von Menschen, die nicht zu den drei bekannten Fahrenden-Gemeinschaften gehören: Alternative und Ausgesteuerte, die in Wohnwagen leben, oder Obdachlose, die im Wald Feuer machen und schlafen.
Das total revidierte Polizeigesetz wurde mit 123 zu 23 links-grünen Stimmen verabschiedet. Es regelt Pflichten und Zuständigkeiten der Polizei und bezweckt Einsparungen und «effizientere» Polizeiarbeit. Infam und grotesk ist die Überwälzung von vier- bis fünfstelligen Kosten an die VeranstalterInnen und an einzelne TeilnehmerInnen unbewilligter Kundgebungen. Grundrechte werden verletzt durch die Bestimmungen gegen Fahrende und die Erleichterung von polizeilichen Vorermittlungen.
Schon vor sechs Jahren bestimmte der Grossrat, die «Police Bern» dürfe gegen Personen «zur Verhinderung von Verbrechen oder Vergehen» Personen an «allgemein zugänglichen Orten verdeckt beobachten und dabei Bild- und Tonaufnahmen machen». Neu kann die Polizei aufgrund von Hinweisen oder Gerüchten ohne richterliche Genehmigung einen Monat lang im Leben einer rechtschaffenen Person schnüffeln. Für die Verschleierung der wahren Identität der PolizistInnen dürfen «Urkunden hergestellt oder verändert werden».
Heisser Abbauwettbewerb
Das neue Sozialhilfegesetz sieht vor, dass der Grundbedarf für minderjährige SozialhilfebezügerInnen und Erwachsene ab 25 Jahren acht Prozent (der Schneggsche regierungsrätliche Vorschlag lag bei zehn Prozent) unter den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe Skos liegen dürfe. Diese Richtlinien liegen seit ihrer letzten Senkung bereits deutlich unter dem Existenzminimum. Bei den 18- bis 25-Jährigen sind sogar 15 Prozent Senkung möglich. Die Skos bedauert den Entscheid: Gehe man unter das soziale Existenzminimum, würden die Probleme verlagert statt gelöst.
Rechte Neoliberale wollen die «explodierenden Kosten in der Sozialhilfe» in den Griff bekommen und Anreize schaffen, damit es sich für SozialhilfebezügerInnen wieder «lohne», möglichst rasch wieder zu arbeiten. Der Rat nahm das Schandgesetz eher knapp mit 79 gegen 63 Stimmen an. Regierung und Parlament wollen damit den europaweiten heiligen Wettbewerb von Sozialabbau für Steuersenkungen weiter anheizen. Die Rechte wollte das obligatorische Referendum für das Sozialhilfegesetz beschliessen, um die Legitimation des Souveräns zu bekommen. Der Vorschlag fakultatives Referendum von SP und Grünen setzte sich durch, die beiden Parteien wollen es selber ergreifen, um das Stimmvolk über die problematische Vorlage und die Gegenargumente zu informieren. Die PdA-POP-Sektion Bern unterstützt die beiden Referenden.
Damian Bugmann, erschienen im vorwärts