elektronischen Stimmauszählung (E-Counting)

Stadtratssitzung
Postulat Christa Ammann (AL), Luzius Theiler (GPB-DA), Rolf Zbinden (PdA) vom 13.02.2014: Gewährleistung der Sicherheit und Überprüfbarkeit der Auszählung bei Wahlen und Abstimmungen. Einsetzung einer verwaltungsexternen Kommission; Ein Prüfungsbericht wird erstellt.

In der Stadtratssitzung vom 2. Juli 2015 wurde Punkt 1 des folgenden, ursprünglichlich als Motion eingereichten Vorstosses in ein Postulat umgewandelt und erheblich erklärt.
Am 29. Januar 2014 erfolgte im „Anzeiger Region Bern“ die Publikation von Änderungen des Reglementes über die politischen Rechte (RPR) und der Verordnung über die politischen Rechte (VPR). Damit sollen die Rechtsgrundlagen für die elektronische Auszählung der Stimmen bei Wahlen und Abstimmungen geschaffen werden. Gemäss Art. 36 Buchst. b der Gemeindeordnung entscheidet jedoch das Volk über das Reglement über die politischen Rechte. Obwohl die Beschwerdefrist noch bis am 28. Februar 2014 läuft, hat der Gemeinderat die elektronische Auszählung bereits für die vergangene Abstimmung vom 9. Februar 2014 umgesetzt. Am 1. Februar 2014 hat Dipl. Inf-Ing. ETH Markus Kühni eine nachvollziehbar begründete und gut dokumentierte Eingabe an den Gemeinderat mit zahlreichen kritischen Bemerkungen und Fragen zur Umsetzung der elektronischen Stimmauszählung (E-Counting) in der Stadt Bern eingereicht: (http://zBaern.ch/2014-02-01_Elektronische_Auszaehlung_der_Abstimmungen.pdf).

Zusammengefasst enthält die Eingabe die folgenden Kritikpunkte an der überstürzt erfolgten Einführung der elektronischen Stimmauszählung in der Stadt Bern:

– Erstens muss festgestellt werden, dass das Betriebskonzept zweifellos eine Form des E-Voting darstellt, da abgesehen von der eigentlichen Stimmabgabe auf Papier alle massgeblichen Auszählungsschritte zentralisiert und elektronisch stattfinden sollen (sog. E-Counting). Für diese Schritte gelten dieselben Sicherheitsanforderungen und -bedenken, wie beim E-Voting mit Internetstimmabgabe.

– Zweitens muss das E-Counting System wirksam gegen Angriffe von aussen geschützt werden. Die Software FORMS und SuisseVote werden im städtischen Netzwerk eingebunden und sind über die persönlichen Mitarbeiterlogins zugänglich. Der Umstand, dass die Software und deren Daten auf gewöhnlichen Laufwerksfreigaben ins städtische Netzwerk gestellt werden und auf gewöhnlichen Arbeitsplatznotebooks betrieben werden, ist aus sicherheitstechnischer Perspektive grobfahrlässig. Die eingesetzten Betriebssysteme, Server, Netzwerke, Notebooks und Passwörter sind im ganzjährigen Büroalltag exponiert und dadurch anfällig gegen Angriffe von aussen.

– Drittens muss das E-Counting System gegen Angriffe und Manipulationen von innen geschützt werden. Das Betriebskonzept zeigt diesbezüglich nur rudimentärste Vorkehrungen auf. Die Verwendung der Shareware WinZIP als „Kryptografie-Standard“ lässt exemplarisch erahnen, wie improvisiert das Sicherungskonzept ist. Auch sonst sind keine dem Stand der Wissenschaft entsprechenden Vorkehrungen zu erkennen. Die Tatsache, dass die Abstimmungsergebnisse als simple Textdateien weiter verarbeitet werden und dort routinemässig manuelle Löschungen vorgenommen werden sollen und können, dokumentiert die Anfälligkeit des Systems für Manipulationen. Man sollte nicht darauf hinweisen müssen, dass so manche Karriere in der Verwaltung ganz direkt von gewissen Wahl- und Abstimmungsergebnissen abhängt. Und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es in der Verwaltung Personen geben wird, welche in Versuchung geraten könnten, die eigene Position auszunutzen, um sich und anderen Vorteile zu verschaffen.

– Viertens wird die Stimmenauszählung durch die Einführung des E-Counting Systems der demokratischen Kontrolle entzogen. Demokratie heisst „Herrschaft des Volkes“. Die unverfälschte Stimmabgabe ist der zentrale Akt dieser „Herrschaft“. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und (soziale) Kontrolle bei der Stimmabgabe sind essenzielle Garantien dafür, dass niemand sonst insgeheim diese Herrschaft ausübt. Bisher führten 200 bis 900 wechselnde Mitglieder des nichtständigen Stimmausschusses aus den Reihen der Stimmberechtigten vor Ort in den Stimmlokalen die wichtigsten Auszählungsschritte durch und nahmen gleichzeitig eine wichtige Aufsichtsfunktion wahr. Der ständige Stimmausschuss war ebenfalls unter den Augen der Bürger am Auszählungsvorgang beteiligt. Abtransportiert wurden erst fertig ausgezählte, protokollierte Pakete. Eine ins Gewicht fallende Manipulation war sehr schwierig (erst recht stimmkreisübergreifend). Diese Kontrollen wurden in der Stadt Bern abgeschafft: zukünftig sind normale Bürger gar nicht mehr an der eigentlichen Auszählung beteiligt. Die ausgepackten Stimmzettel werden unsortiert abtransportiert. Die eigentliche Erfassung und Auszählung der Stimmen passiert neu im stillen Kämmerlein, fernab von jeder Kontrolle, durch die 4-6 Personen des sog. „Scan-Teams“.

– Fünftens wird der Grundsatz der Öffentlichkeit der Auszählung missachtet, wie sie im kantonalen Gesetz und auch im revidierten städtischen Reglement über die politischen Rechte festgeschrieben ist. Selbst wer im Scan-Team ist, sieht keine Zwischenergebnisse und Stapel mehr. Das später verkündete Resultat kann daher wild vom realen Ergebnis abweichen, ohne dass dies irgendjemandem auffiele. Einer Manipulation steht nichts mehr im Wege. Die manuelle Plausibilisierung gemäss Betriebskonzept ist weitgehend nutzlos, denn erstens können die unausgezählten Originalstimmzettel auf dem Transportweg ausgetauscht werden, zweitens stehen die Originalstimmzettel danach unbeaufsichtigt in der Stadtkanzlei, drittens kommt mangels Transparenz niemand mehr (auch das Scan-Team nicht) zu Hinweisen, welche die aufwändige manuelle Nachprüfung überhaupt begründen könnte und fünftens kann die dokumentierte Nachprüfungsmethode nur das korrekte Scannen und Erkennen einzelner Stimmzettel prüfen, nicht aber deren korrektes/unmanipuliertes Zusammenzählen.Das uneingeschränkte Vertrauen in die Korrektheit der Stimm- und Wahlergebnisse muss in der Demokratie höchste Priorität geniessen.

Der Gemeinderat wird deshalb beauftragt
Einsetzung einer stadtexternen Fachkommission unter Mitwirkung des Verfassers der Eingabe. Diese beurteilt den Inhalt der Eingabe und erstattet Bericht mit Vorschlägen über das weitere Vorgehen. Ausserkraftsetzung der Reglements- und Verordnungsänderungen, soweit sie die elektronische Stimmauszählung betreffen. Wenn nötig Unterbreitung einer neuen Vorlage betreffend Revision des Reglements über die politischen Rechte z.H. des Stadtrates und der Volksabstimmung. Manuelle Auszählung der Wahlen und Abstimmungen nach bisheriger Art bis zum Vorliegen des Kommissionsberichtes und der eventuell nötigen Reglementsrevision.

Begründung der Dringlichkeit
wird Dringlichkeit beantragt, weil die Neuerung ohne gültige Rechtsgrundlage bereits umgesetzt wurde und am 30. März und am 18 Mai weitere Urnengänge bevorstehen. Dem Vertrauen in die Korrektheit der Auszählungsergebnisse kommt höchste Priorität zu.
Die Dringlichkeit wird vom Büro des Stadtrats abgelehnt.

Bern, 13. Februar 2014
Erstunterzeichnende: Luzius Theiler, Christa Ammann, Rolf Zbinden
Mitunterzeichnende: Matthias Stürmer