DIE GÖTTLICHE ORDNUNG

Beim Frauenstimmrecht waren wir erfolgreich! Und heute? Wie steht es um die Gleichberechtigung?

In letzter Zeit ist ein feministischer Aufbruch zu beobachten: Es gab in den USA grosse Anti-Trump-Proteste, die von einem Frauenbündnis initiiert wurden, und auch in Zürich gingen mehr als 10‘000 Bewegte für den Frauenmarsch auf die Strasse. In Polen konnten Proteste von Frauen eine Verschärfung des Abtreibungsrechtes verhindern.
Der Film „Die göttliche Ordnung“, in dem die Geschichte des Frauenstimmrechts in der Schweiz anhand von fiktionalen Charakteren mit realen Vorbildern dargestellt wird, hat uns an unsere Geschichte erinnert. Er hat vorgeführt, welche Art der Zivilcourage es braucht, Frauenanliegen durchzusetzen: Die alten Muster aussetzen, für die eigenen Überzeugungen hinstehen, sich durch Unsicherheit und (angedrohte) Gewalt nicht entmutigen lassen und protestieren. Auch Präsident Trump hat uns mit seinem Frauenbild (An die „Pussy“ fassen, Frauen nach ihrem Äusseren in Kategorien einteilen) gezeigt, dass es noch nicht so lange her ist, dass Frauen über ihren Körper und ihr Leben auch hier in der Schweiz nicht selbst bestimmen konnten. Und das wirkt immer noch in Schönheitsidealen und anderen körperlichen und geistigen Anforderungen an uns Frauen nach, obwohl die Gleichberechtigung bei uns in der Verfassung steht. Häufig drückt sich das auch in Gewaltandrohungen und -anwendungen aus, von denen Frauen im öffentlichen Raum übermässig betroffen sind. Vor allem dann, wenn sie sich nicht an die auferlegten Regeln halten wollen. 

Ernst genommen werden
Die Aktion #Aufschrei auf Twitter hat uns ermahnt, wie verbreitet sexuelle Belästigung in jedem Lebensbereich ist. Die Belästigung schlägt häufig in Gewalt um. Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur häuslichen Gewalt zeigen, dass die meist männliche Gewalt weltweit die höchste Todesursache für Frauen zwischen 16 und 44 Jahren ist. In der Schweiz werden jährlich 25 bis 35 Frauen durch ihren Ehemann oder Partner umgebracht. Jede zehnte Frau in der Schweiz ist von psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt ihres Ehemannes oder Partners betroffen.1 Das sind die Extrembeispiele, die unserer Meinung nach aber die strukturelle Gewalt2 zeigen, die gegenüber Frauen ausgeübt wird. Die strukturelle Gewalt führt dazu, dass die reale Selbstverwirklichung der Frauen hinter der in unserer Gesellschaft möglichen Selbstverwirklichung zurückbleibt. Die Gewalt drückt sich nicht immer in diesem extremen Ausmass aus, sie kann sich auch harmloser in sexistischen Witzen, Bemerkungen über das Äussere einer Frau oder darin ausdrücken, dass sich die Männer in Gesprächsrunden immer nur auf Männer beziehen und die Aussagen von Frauen weniger ernst genommen werden. Trotzdem zeigen auch die harmlosen Beispiele die gesellschaftlich verbreitete Haltung an, die dazu führt, dass Frauen mehr mit Unsicherheit zu kämpfen haben und sich mehr fragen müssen, wer sie sind.

Lohnungleichheit
Ein Bereich der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern ist die Lohnungleichheit. Hier reden wir von bis zu 18% Unterschied zwischen den Löhnen von Männern und Frauen. Häufig werden Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, schlechter bezahlt. Es lässt sich sogar feststellen, dass der Lohn sinkt, wenn mehr Frauen einen Beruf ergreifen, der vorher von Männern dominiert war, wie z. B. bei Primarschullehrerinnen. Wenn man Bildungsniveau, Alter, Beruf, Unternehmenszugehörigkeit und andere Faktoren vom 18% Lohnunterschied ausklammert, dann bleiben noch „unerklärliche“ 42 Prozent der Lohndifferenz, die man dann als „reine“ Diskriminierung betrachten kann.3

Unbezahlte Arbeit
Wir müssen aber über die Lohngleichheit hinausdenken, denn die Gründe für die Ungleichheit der Geschlechter und auch für Ungleichheit anderer Art (sexuelle Orientierung, Rassismus, Klassendiskriminierung und Behinderung), die wir nicht ausklammern wollen, liegen tiefer. Diese Gesellschaft honoriert die existenziellen Aufgaben wie Kinderund Altenbetreuung, Behinderten- und Krankenbetreuung nicht. Und das, obwohl diese doch die Grundlage des Lebens überhaupt sind. Wenn diese Tätigkeiten überhaupt bezahlt sind, dann sind sie schlecht bezahlt. Neben der vielen Gratisarbeit, die Frauen für das Wohl von anderen leisten, arbeiten sie in diesen Jobs, bei denen sie systematischen Stress erleben, sich überarbeiten und davon nur knapp leben können. Wieso ist die Arbeit einer Krankenpflegerin eigentlich so wenig wert für die Gesellschaft?

Es ist eine Frage des Willens

In vielen Bereichen unseres Zusammenlebens ist der Fokus auf das Grundlegende verloren gegangen. Es wird Druck auf die Frauen ausgeübt, dass sie eine Familie gründen sollen, aber die Gesellschaft bietet nur unzureichende Rahmenbedingungen dafür. Die Fortpflanzung ist eine Frage der (finanziellen) Ressourcen. Es wird behauptet, dass für diese existenziellen Dinge kein Geld vorhanden sei. Kein Geld dafür zu haben, ist aber eine politische Entscheidung. Man bekommt den Eindruck, die Politik ergebe sich vorgeschobenen (finanziellen) Sachzwängen, um sich dieser Realität nicht zu stellen. Eine politische Umwertung wäre notwendig, denn meistens zahlen wir Frauen den Preis dafür in Form von schlechten Löhnen, emotionaler und anderer Arbeit und mit einer schlechten Altersrente.

Die AHV-Reform – Teilzeitarbeit
Es ist bezeichnend, dass wir Frauen mit einer längeren Lebensarbeitszeit den Preis für die neuste Reform der Rente bezahlen sollen. Und dies, obwohl die Politik es nicht schafft, die in der Verfassung verankerte Lohngleichheit mit anständigen Kontrollen durchzusetzen. Das erinnert doch wieder an das vielverwendete Symbol der Frauenbewegung, die Schnecke. Nichts geht voran, es geht eher wieder in die andere Richtung. Überall wird gespart! Man setzt die Umwandlungssätze der Pensionskasse von 6,8 auf 6% herunter. Auch hier zahlen die Frauen, wie sie das sowieso tun, weil sie in die Pensionskasse weniger Geld einzahlen können. Wir Frauen haben in der Schweiz noch andere Dinge zu erledigen als ein ganzes Leben lang 100% Lohnarbeit zu leisten. Auch unterstützen uns die Männer nur wenig nach der Gründung einer Familie. Das könnten sie, wenn sie ihr Arbeitspensum reduzieren würden. Obwohl die Mehrheit der Männer vor der Gründung einer Familie die Familien- und die Lohnarbeit gerecht unter den Geschlechtern aufteilen möchten, machen es danach nur noch wenige. Deswegen arbeiten viele Frauen Teilzeit, was sich auf ihre Gesundheit, ihre Karriere, auf die Höhe ihres Lohnes und auf ihre Rente auswirkt.

Prostitution
Jeder fünfte Mann zwischen 20 und 65 Jahren geht mindestens einmal im Jahr zu einer Prostituierten. 4 Der landesweite Umsatz mit Prostitution beträgt in der Schweiz ca. 3.5 Milliarden Franken im Jahr.5 Frauen hingegen kaufen sehr selten sexuelle Dienstleistungen. Wir wollen die Frauen im Sexgewerbe nicht wieder in die Illegalität treiben. Ihre Arbeit muss als Arbeit anerkannt sein. Doch sagen diese Zahlen sehr viel aus über die Tabuisierung von Sexualität, die Vereinsamung und insbesondere über das Geschlechterverhältnis aus, denn wir Frauen hören selten, wer aus unserem Bekanntenkreis sich seinen Sex kauft. In Deutschland hat die Legalisierung der Sexarbeit dazu geführt, dass Deutschland als das grösste Bordell Europas gilt. Mit dabei sind alle Begleiterscheinungen wie Flat-Tax-Sex und Frauenhandel. Man muss differenziert an diese Frage herangehen, muss aber auch fragen dürfen, welche Nachteile sich für eine Gesellschaft und die betroffenen Frauen und Männer aus dieser Politik ergeben haben. Mehr als 75 Prozent der Frauen im Sexgewerbe in der Schweiz sind Migrantinnen. Das eröffnet für uns darüber hinaus weitere Fragestellungen der  Gerechtigkeit und Ausbeutung.

Männeremanzipation
Wir glauben, dass sich nicht nur wir, sondern auch die Männer sich emanzipieren müssen. Auch sie stecken in mehr oder weniger fixen Geschlechterbildern fest. Es ist ja auch kein Wunder. Die Schweiz ist bei emanzipatorischen Projekten immer um Jahre hintendrein. Aber es gibt neue Männerbewegungen wie Männer.ch, mit denen wir eine Zusammenarbeit nicht ausschliessen wollen, wenn es der Sache hilft.

Wir sind Frauen der PDA Bern und wollen diesen Aufbruch nicht versanden lassen. Zusammen mit euch wollen wir die aktuellen Probleme von Frauen in der Schweiz noch besser recherchieren und herausfinden, wie wir sie in Aktionen und in der Politik angehen können. Wir gründen ein Frauen-Aktionskomitee (FAK)! Seid ihr dabei?

 

  1. http://stiftung-gegen-gewalt.ch
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Strukturelle_Gewalt
  3. http://www.buerobass.ch/pdf/2017/BFS_2017_LohnanalysenLSE2014.pdf
  4. http://www.aargauerzeitung.ch
  5. http://www.feel-ok.ch