STAND- UND DURCHGANGSPLÄTZE FÜR FAHRENDE – PROAKTIVES VORGEHEN DES GEMEINDERATES DER STADT BERN

Dringliche Motion Martin Krebs, Rolf Zbinden, Luzius Theiler, Christa Ammann:

Seit dem 22. April 2014 protestierten auf der kleinen Allmend Fahrende für mehr Stand- und Durchgangsplätze in der ganzen Schweiz – eine legitime Forderung angesichts der wenigen und überfüllten bestehenden Plätze. Der Gemeinderat hat offenbar nicht zu einer einvernehmlichen Lösung Hand geboten und die Räumung angeordnet.

Die Schweiz hat am 21. Oktober 1998 das Rahmenübereinkommen des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten (SR 0.441.1) ratifiziert. In seiner Botschaft vom 19. November 1997 an das Parlament (BBl 1998 1293, FF 1998 1033) hat der Bundesrat ausdrücklich festgehalten, dass die schweizerischen Fahrenden eine nationale Minderheit im Sinne des Rahmenübereinkommens bilden. Damit verpflichtet sich die Schweiz, die Bedingungen zu fördern, die es den Angehörigen nationaler Minderheiten ermöglichen, ihre Kultur zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Die Fahrenden als Bevölkerungsgruppe mit schweizerischer Staatsangehörigkeit und einer wirtschaftlich und kulturell auf Nichtsesshaftigkeit ausgerichteten Lebensweise gelten als geschützte nationale Minderheit. Dass die geltende Rechtsordnung gegenüber den Fahrenden als nationaler Minderheit zumindest indirekte Diskriminierungen etwa im Bereich der Raumplanung und Baupolizei, im Bereich der Gewerbepolizei sowie der Schulpflicht enthält, kann als erwiesen gelten.

Die nomadische Lebensweise ist ein wesentliches Element der kulturellen Identität der Fahrenden. Der akute Mangel an Haltemöglichkeiten in der Schweiz bedroht die nomadische Lebensweise und damit die Kultur der Fahrenden. 

Am 28. März 2003 hat das Bundesgericht in seinem Urteil (1A.205/2002) ausdrücklich das Recht der Fahrenden auf angemessene Haltemöglichkeiten anerkannt. So sind geeignete Zonen und Standorte vorzusehen, die den Fahrenden eine ihren Traditionen entsprechende Lebensweise ermöglichen. Sollte sich dafür keine bestehende Zone eignen, sind die planungsrechtlichen Grundlagen zu schaffen.

Für seit Jahren in Bern fest wohnende Fahrende konnten dauerhafte Lösungen der Standplatzfrage gefunden werden. Dagegen decken die bestehenden Durchgangsplätze im Kanton Bern – und damit auch auf Stadtgebiet – den Bedarf bei weitem nicht ab. So sind viele Fahrende gezwungen, auf ungeeignete Standorte auszuweichen, was zu Konflikten mit den Behörden und der sesshaften Bevölkerung führt.

Mit den fehlenden Durchgangsplätzen zwingt man die Fahrenden in eine rechtliche und soziale Grauzone. Nur wenn ein legaler Aufenthalt möglich ist, können Konflikte abgeschwächt, die Akzeptanz erhöht und auch Regeln durchgesetzt werden.

Die Fahrenden haben auf diese Anliegen aufmerksam machen wollen, und dies mit friedlichen Mitteln. Die Anordnung, die mobilen Toiletten zu schliessen und die Anlieferung einer Mulde für den Abfall zu verhindern, entbehrt überdies jeglicher Verhältnismässigkeit und leistete den in den blog-Medien gemachten unterschwelligen oder direkten rassistischen Äusserungen gegenüber den Fahrenden Vorschub. Auch ist es stossend, dass eine grössere Menge Bussen wegen angeblich widerrechtlichem Parkieren der Zugfahrzeuge ausgestellt wurde.

Die Haltung des Gemeinderates, das Parkplatzangebot für die BEA über das Grundrecht der Fahrenden auf friedlichen Protest zu stellen befremdet. Der Gemeinderat hätte zumindest für diesen Protest einen Ersatzstandort auf dem Gebiet der Gemeinde Bern anbieten müssen. Infrage wären etwa die Manuelwiese, das Gaswerkareal oder der Campingplatz Eichholz oder die Zivilschutzanlage Riedbach gekommen. Die nun erfolgte Räumung ist unverhältnismässig und entbehrt jeglicher auf eine pragmatische Problemlösung gerichteter Haltung. Es kam zu entwürdigenden Szenen, wie z.B. das Nummerieren von Menschen am Handgelenk mit Kabelbindern.

Begründung der Dringlichkeit: Es handelt sich um ein drängendes Problem und nach dem unverhältnismässigen Vorgehen des Gemeinderates ist eine rasche Richtigstellung des Sachverhaltes nötig.

Der Gemeinderat wird aufgefordert:

• die planungsrechtlichen Arbeiten für die Schaffung eines Durchgangsplatzes proaktiv anzugehen, dies obwohl die Schaffung von Durchgangsplätzen in erster Linie beim Kanton liegt. Insbesondere ist zu prüfen, ob nicht ein Angebot auf dem Gemeindegebiet der Stadt Bern geschaffen werden kann.

• einen geeigneten Ersatzstandort für allfällige zukünftige Proteste anzubieten, wenn die Auffassung vertreten wird, dass das Parkplatzangebot für die BEA wichtiger ist als eine grundrechtlich geschützte Position der Fahrenden.

• von einer Räumung und von jeglicher Gewalt gegen Personen und Sachen in gleichgelagerten Fällen zukünftig Abstand zu nehmen.

• die auf dem Gemeindegebiet der Stadt Bern ausgestellten Bussen wegen angeblich widerrechtlichem Parkieren der Zugfahrzeuge zu annullieren.

• sich bei den Fahrenden für das unverhältnismässige Vorgehen zu entschuldigen.

 

24. April 2014 pdf