Kassandrarufe aus den Tiefen der freisinnigen Seele

Motion Fraktion FDP (Christoph Zimmerli, FDP): Nehmen und Geben – auch in der Steuerpolitik!
Intervention der PdA an der Stadtratssitzung vom 24.01.2013

Wenn es um Glaubensbekenntnisse geht, haben Argumente in der Regel einen schweren Stand. Und so wohnen wir denn heute einem bürgerlichen Trauerspiel bei, Teil zwei. Der erste Teil ist uns – ganz stimmig – kurz vor Weihnachten geboten worden. Was bisher geschah? Da trat ein Streiter für Steuersenkungen auf und kam ganz ohne Argumente aus! Im Glauben unanfechtbar und unerschütterlich, hat ihm das Bekenntnis gereicht, das Bekenntnis pur. Das war bemerkenswert – bemerkenswert konsequent und effizient. Und bemerkenswert war da erst recht die Ergriffenheit der Ratsmehrheit.

Ganz anders sieht da der zweite Teil aus: Da will einer mit Argumenten hoch hinaus, so hoch, dass einen der Schwindel packen könnte. Wer aber so beschwörend redet, dem ist der Glaube schon problematisch geworden. So problematisch, dass er sich das Credo nicht einmal mehr offen auf die Fahne schreibt – sondern schon im Titel auf den Gemeinplatz ausweicht: „Nehmen und Geben!“ Aber vielleicht will der Motionär allen Ernstes, dass wir hier das Geben und Nehmen unter den Bedingungen gesellschaftlicher Ungleichheit ausbeinen: Das Geben und Nehmen zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Arbeit Nehmenden und Arbeit Gebenden, Geben und Nehmen zwischen privat Profitierenden und öffentlich Ausbadenden.

Vielleicht geht es dem Motionär ja wirklich ums Grundsätzliche. Die fast schon apokalyptische Vision, die er da entwirft, scheint das zu bestätigen: Der Stadt Bern droht das Aussterben. Der aktuelle Leerwohnungsbestand wäre dann wohl bloss noch ein Zeichen für ein letztes Aufbäumen vor dem nahen Untergang im gesellschaftlichen Sumpf der schlecht Verdienenden, der Ungebildeten und Ausrangierten. Man stelle sich das mal vor! Wenn der politisch und sozial ach so unverdächtige „klassische Mittelstand“ zum Argument wird, dann wissen wir doch mittlerweile, wem es im Gegenzug an den Kragen gehen soll.

Der Gemeinderat demontiert die Argumente des Motionärs, dass es eine Freude ist. Die Enttäuschung kommt dann buchstäblich auf der letzten Zeile! Das soll man verstehen? Die deutliche Annahme des Budgets durch die Stimmberechtigten ist ein Zeichen – wofür? Für eine Steuersenkung! Ich muss mich wiederholen: Wenn jetzt Budgetabstimmungen auf diese Art interpretiert werden sollen – ja, dann werden wir künftig das Budget grundsätzlich anders diskutieren müssen! Für die Partei der Arbeit stellt der Antrag des Gemeinderats auf Zustimmung zur vorliegenden Motion eine politische Zumutung dar. Mit drastischen Sparpaketen von Stadt und Kanton vor der Tür, wird hier ein unverantwortliches Signal gesetzt. Unser Kampf gegen diese asozialen Sparmassnahmen sieht sich damit bestätigt: Er ist um ein Argument reicher und einen Zorn grösser.

Rolf Zbinden, Partei der Arbeit Bern, 24. Januar 2013