JETZT ERST RECHT!
„Diskussion aus aktuellem Anlass“ im Berner Stadtrat am 23. Juni 2011:
Räumung der Anti-AKW-Mahnwache vor dem BKW-Sitz am Viktoriaplatz
Intervention der PdA Bern an der Stadtratssitzung vom 23. Juni 2011
Nach dem nächtlichen Überfall auf die Mahnwache am Viktoriaplatz stellen sich Fragen, die nicht nur jene beschäftigen müssen, die sich für die sofortige Stilllegung des Atomkraftwerks Mühleberg einsetzen, sondern alle, die von einer Regierung Verhandlungs- und Konfliktkultur erwarten, die sich nicht reduzieren lässt auf das einschlägige Muster: „Plattfuss räumt auf“! Seit wann ist es denn üblich, laufende Verhandlungen mit Gewaltmitteln zu entscheiden? Was geht da in den Köpfen der strategisch und operativ Verantwortlichen vor, wenn sie friedliche CamperInnen aus dem Schlaf reissen und in Fesseln abführen lassen? Welchen konstruktiven Beitrag zur Konfliktbewältigung versprachen sich die gleichen Verantwortlichen, wenn sie Camperinnen dazu zwangen, sich nackt auszuziehen? Was fällt den Drahtziehern der Räumung eigentlich ein, kunstvoll gearbeitete Skulpturen zu beschädigen? Was bezweckt ein solches Vorgehen? Was bewirkt es? Bei den Betroffenen? Und bei der Bevölkerung?
Diese Eskalation obrigkeitlicher Gewalt hat ihre Geschichte. Sie ist systematisch vorbereitet worden mit einem eigentlichen Krieg der Worte, der sich immer zu den vollen Stunden wiederholt und wiederholt und wiederholt. Ein Meinungsumschwung ist herbeigeredet, der Unmut von Quartierbewohnern ist angestachelt worden. Und jedes unflätige Wort hat der Front-Sender zu Volkes Stimme hochgejubelt. Wenn ein AKW-Gegner hinterrücks angefallen, zu Boden geworfen und mit Faustschlägen traktiert wird – wie Dienstagmittag auf dem Trottoir vor dem BKW-Sitz – dann zeigt das auf erschreckende Weise, wie die Saat dieser Verleumdungskampagne aufgeht. Dass der Schläger sich nach seiner Attacke hinter eine Gruppe Polizeigrenadiere zurückziehen kann, vervollständigt nur das unschöne Bild.
Die Eskalation ist ausschliesslich von einer Seite ausgegangen und vorangetrieben worden. Und die Verantwortlichen haben es verdient, benannt zu werden! Noch in bester Erinnerung: die markigen Worte, mit denen die Mahnwache zur Chefsache erklärt worden ist. Dieser Herr-im-Haus-Standpunkt: Das ist unverkennbar präsidialer Originalton. Und wir würden uns – auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen im Parlament – schön was vormachen, von solcher Brachialrhetorik überrascht zu sein. In diesen Rahmen passt auch bestens die Überrumpelungstaktik, die einen Tag vor einer Sitzung des Gemeinderats und zwei Tage vor der Beratung des Stadtrats zum Zug gekommen ist. So etwas zeugt nicht unbedingt von einem grossen Respekt: weder gegenüber den VerhandlungspartnerInnen noch gegenüber dem Parlament.
Ziemlich abgeschmackt und politisch allzu durchsichtig finden wir aber, wenn jetzt lauthals geschrien wird: „Haltet den Dieb!“, um sich selber aus der Mitverantwortung stehlen zu können – wenn man bei dieser Form von politischem Mühlespiel denn überhaupt von Verantwortung reden kann. So ganz ohne Kollaboration ist wohl das Knüppel-aus-dem-Sack und das Stadtgrün-pflanz-dich doch nicht zu haben. Die PdA Bern hat absolut kein Verständnis dafür, wenn jetzt in die Räumung direkt involvierte Mitglieder des Gemeinderats auf Tauchstation gehen, bis sich die Wogen geglättet haben.
Die PdA Bern verlangt vom Gemeinderat, dass er die am 12. Mai erheblich erklärte Motion „AKW Mühleberg stilllegen – und zwar sofort!“ gefälligst Ernst nimmt, nämlich: „alle Bestrebungen auf politischer und rechtlicher Ebene aktiv zu unterstützen, die eine sofortige Stilllegung des Atomkraftwerks Mühleberg anstreben“ Und: “Alle seine diesbezüglichen Schritte offen zu kommunizieren.“ Sowohl den einen wie auch den anderen Auftrag hat er Dienstagnacht verhöhnt. Und wenn ihn jetzt noch ein Teil dieses Rats bei diesem frechen Spiel unterstützt, dann können wir daraus nur einen sinnvollen Schluss ziehen: Das Vertrauen in Regierungen und Parlamente bringt uns einer raschen Stilllegung der Atomkraftwerke keinen Schritt näher. Einzig eine breite Mobilisierung der Bevölkerung wird einen Ausstieg aus dem Atomwahn ohne Wenn und Aber garantieren. Nur eine breite Bewegung auf der Strasse, am Arbeitsplatz, in den Schulen, im Quartier wird den ersten entscheidenden Schritt ermöglichen: die sofortige Stilllegung des AKW Mühleberg. Dieser Kampf geht weiter!
Rolf Zbinden, Partei der Arbeit Bern, 23. Juni 2011 pdf