Sanktionen im Sozialdienst

Motionen Fraktion FDP (Philippe Müller): Klare Weisungen betr. Sanktionen im Sozialdienst (Sanktionskatalog); Griffige Sanktionen in der Sozialhilfe; Klare Weisungen bei Missbrauchsverdacht im Sozialdienst; Generalvollmacht zur Überprüfung der Angaben bei Sozialhilfe bei Gesuchstellung; Sozialhilfe nicht höher als Arbeitseinkommen; Echte Gegenleistungen von Sozialhilfebeziehenden

Intervention der PdA Bern an der Sitzung des Stadtrats, 4.3.10

Das Prinzip bleibt sich immer das gleiche: Bei so vielen Rauchzeichen, die da gefächelt werden, wird es doch wohl irgendwo brennen – nicht? Und traurig, aber wahr, die Rechnung geht so häufig auf: bei Presse, Politik, Publikum. Das Phantom der betrügerischen Armen, Kranken, Behinderten scheint ein weit verbreitetes Welt- und Menschenbild des Misstrauens und der Ressentiments bestens zu bedienen. Wer will sich unter diesen Umständen innerhalb und ausserhalb dieses Rats die Finger verbrennen, indem er an die Stelle des allgegenwärtigen Verdachts den Anspruch auf Respekt und gesellschaftliche Solidarität setzt? Ganz sicher nicht ein Gemeinderat, der auf dem Rückzug jede neue Konzession in einen sozialpolitischen Erfolg umzudeuten versucht.

Wenn wir uns dem populären Schrei der Empörung über mögliche Missbräuche in der Sozialhilfe nicht anschliessen, dann hat das nichts mit Sozialromantik zu tun, sondern mit einer nüchternen Einschätzung der gängigen gesellschaftlichen Regeln. Wenn einzelne Menschen sich materielle Vorteile zu erschwindeln verstehen, dann hat das zuallererst mal zu tun mit einer Gesellschaft, die im Grossen, im globalen Massstab kriminelle Energie noch immer zu honorieren pflegte. Und was ist da schon ein „BMW-Fall“ gegen ein Unternehmen, das Löhne bezahlt, die zum Leben nicht reichen? Wenn sich jemand einen verordneten Job nicht aufbrummen lässt, zeigt der Motionär mit dem Finger auf ihn und lässt stellvertretend die Tränen der „ehrlich Arbeitenden“ fliessen, die „sich in der Rolle der „Dummen“ wieder finden.“ Wenn sich hingegen Lohnabhängige auf der Strasse wieder finden, weil sie als Dank für ihre jahrelang geleistete „ehrliche Arbeit“ dem Profit geopfert worden sind – dann zeugt das für den Motionär wohl von der Gesundheit unternehmerischer Initiative. Sanierer dieser Art haben uns gerade noch gefehlt. Nachdem ihre Klientel ökonomisch und politisch so ziemlich alles verbockt hat, was es zu verbocken gab, würde ihnen ein Spürchen Bescheidenheit nicht schlecht anstehen.

Ein halbes Dutzend Motionen zur Sozialhilfe auf einem Haufen – das trägt zur Übersicht, zur Klarheit bei. Ein Blick auf die Titel der Motionen liest sich denn wie ein Katalog von dem, wovor es den Bürger, die Bürgerin graust: Verdacht, Sanktionen über Sanktionen, Generalvollmacht zur Überprüfung der persönlichen Daten – wovor es einen graust, wenn es einen selber betreffen sollte. So werden Armutsbetroffene gesellschaftlich deklassiert, so wird ihre Deklassierung festgeschrieben. Sogar dem Gemeinderat ist seinerzeit – bei allem Wohlwollen – in seiner Antwort auf die gleich lautenden Postulate nicht entgangen, dass jeder einzelne Vorstoss überbeisst, in seinem Eifer rechtstaatliche Usanzen locker beiseite schiebt: Existenzsicherung, Integration, Verhältnismässigkeit – sie werden mit den Motionen verabschiedet; Sippenhaftung wird begrüsst. Woher dieser Eifer auch immer stammen mag – er verletzt die Würde Armutsbetroffener, verhöhnt aber auch die Berufsethik und die Professionalität der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und mokiert sich über die wahren Sorgen und Ängste der meisten Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Das ist unredlich, das ist wahrlich: Sozialkitsch.
Wir leiden nicht an Sozialromantik. Wir leiden unter den falschen Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Unser Sozialwesen hat allerdings ein Problem: Wenn über ein Drittel derer, die in der Schweiz unter der Armutsgrenze leben, voll arbeiten und davon nicht ganz leben können. Wir haben allerdings ein Problem: Wenn die Konkurrenz unter Gemeinden logischerweise dazu führt, dass die belohnt werden, die schon viel haben – und die man lieber nicht kontrollieren will. Verdacht auf Missbrauch, Sanktionen, Überprüfung der persönlichen Daten: Davor behüte der Staat hohe Einkommen und Vermögen! Statt goldener Fallschirme für gierige Bänker: „echte Gegenleistungen“? Woran würde Sie das denn erinnern? Ich höre die Empörung: Zwangsarbeit!

Es fehlt uns nicht an grossen Problemen: Die soziale Sicherheit wird systematisch in Frage gestellt. Angst um den Arbeitsplatz, Sorge um die Zukunft, Verunsicherung, Scham machen sich breit. Die vorliegenden Motionen heizen genau dieses Klima an. Und der Gemeinderat gibt klein bei. Es gibt ihn eben doch noch: den Klassenkampf – den von oben.

Rolf Zbinden, PdA Bern, 4.3.10