Dringliche Motionen Fraktion FDP (Philippe Müller, FDP): Missstände im Sozialdienst beheben: Keine Zulagen mehr ohne Nachweise; Zuweisung von Sofortarbeitsplätzen im Sozialbereich (Beschleunigung des Verfahrens); Weiterführung der Dossierprüfungen im Sozialdienst
Intervention der PdA Bern an der Sitzung des Berner Stadtrats, 4.6.09
Ich lese: „In der Zwischenzeit ist einiges ans Tageslicht gekommen.“ Das kommt uns doch bekannt vor! Ob Postulat oder Motion, ob dringlich oder aufdringlich – ab und an garniert mit dem Nervenkitzel der Indiskretion durch anonyme Dritte: Der Topf wird auf Dauer am Kochen gehalten. Und nicht nur das: Unter dem Sperrfeuer der FDP-Vorstösse gehen viele in Deckung, ziehen den Kopf ein. Wer sich nicht einfach so wegducken kann, sind jene Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Sie trifft es, trifft es tief: Damit meine ich nicht das Portemonnaie, damit meine ich ihre Würde.
Viele von denen, die sich ducken, hoffen durch ihr taktisches Verhalten noch zu retten, was für sie zu retten ist, noch das Beste herauszuholen – zumindest für sich selber. Der Gemeinderat macht es ihnen vor. Geht auf Schmusekurs mit dem Motionär, muss ihm aber schliesslich das finale Jawort verweigern, weil der Motionär ihm dann doch zu unverschämt vorbeikommt. Den Motionär freut es trotzdem.
Und genau das freut ihn: Nicht nur einzelne – gar nicht so wenige! – seiner vielen Forderungen werden übernommen oder gar als notwendig betrachtet – ihm ist es vor allem gelungen, das Thema zu setzen und die Sprache zu besetzen, in der über Menschen in wirtschaftlicher Not gesprochen werden soll. Das ist viel, das bedeutet letztlich: politische Hegemonie.
Es soll nichts weniger als ein Perspektivenwechsel etabliert werden. Mit Blick auf die Armutsbetroffenen soll nicht länger gefragt werden dürfen: Was braucht der Mensch, um in Würde leben zu können? Am Eingang zur sozialen Frage soll nun ein General-Verdacht stehen, der zusätzlich mit institutionellen Mitteln und Regeln aus- und aufgerüstet wird. Und diese Attitüde des Misstrauens wird just zu einem Zeitpunkt geschürt, der gekennzeichnet ist durch ein Anwachsen der Kluft zwischen den Reichen und den Armen und durch katastrophale Auswirkungen der Marktkräfte auf Menschen und Umwelt. Wer soll da wohl für dumm verkauft werden?
Welche konkreten Formen diese Unkultur des General-Verdachts gegen die Armutsbetroffenen auch immer annehmen mögen – die PdA Bern wird nie bereit sein, sich auf das Niveau dieses Diskurses zu begeben und in den Konzepten und Begriffen des Motionärs zu verhandeln. Dem Motionär ist es unbenommen über Zwangsarbeit laut nachzudenken – man mag über solche Phantasien lachen oder den Kopf schütteln. Unsere Aufgabe ist aber eine andere, eine schwierigere: sich diesem Diskurs des Misstrauens zu verweigern, die Entsolidarisierung gegenüber Menschen in wirtschaftlicher Not zurückzuweisen!
Aus der Haltung des Gemeinderats lesen wir nicht erst seit heute: ein Ja, aber. Und einige Fraktionen versuchen flexibel im Geschäft zu bleiben: mit einem Nein, aber. Dem Motionär wird es in beiden Fällen recht sein: Die politische Agenda bleibt so fest in bürgerlicher Hand. Wer Menschen, die von Armut betroffen sind, dieser Hand ausliefern will, nimmt eine grosse Verantwortung auf sich. Wer diese Hand bekämpfen will, wird sich nicht auf Kompromisse und kleinere Übel einlassen können. Da gibt es nur eins: Sagen wir nein!
Rolf Zbinden, PdA Bern, 4.6.09